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Ida Rhodes
1900-1986

"My feeling is that one should never knuckle down to pressure. If you cannot make something that is good, donīt make it at all." ("Mein Gefühl ist, dass man sich niemals unter Druck setzen sollte. Wenn Du nicht etwas machen kannst, dass gut ist, mach es überhaupt nicht.")

Mit Ida Rhodes soll eine Visionärin vorgestellt werden, die bereits vor fünfzig Jahren wie nur wenige andere das Potenzial der Informationstechnik für unser allgemeines Leben und Arbeiten erkannte und sich aktiv für die Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen an den von ihr erwarteten positiven Entwicklungen engagierte.

Geboren als Hadassah Itzkowitz am 15. Mai 1900 in einem kleinen jüdischen Dorf in der Ukraine, erlebte sie eine schöne Kindheit (wie sie gern betonte). Das Dorf gehörte zum Besitz einer russischen Gräfin, die sich um die Bildung der Armen kümmerte und Hadassah in ihr Herz geschlossen hatte. Im Jahre 1913 emigrierte sie mit ihren Eltern in die USA. Von 1919-23 studierte sie Mathematik an der Cornell University. Sie machte innerhalb eines Jahres sowohl den Bachelor wie den Master, denn ihre Studienzeit verlief keinesfalls üblich. Tagsüber arbeitete sie 12 Stunden als Krankenschwester im Hospital, abends besuchte sie Mathematikvorlesungen, die ihre Professoren häufig ihretwegen verlegten, weil sie so hervorragend war. Sie selbst meinte dazu, dass sie nicht Physik oder Chemie studieren konnte, weil beides tagsüber stattfindende Laborpraktika verlangt hätte.

In den folgenden Jahren arbeitete sie an wechselnden Stellen, bis sie im Jahre 1940 von Gertrude Blanch in das New Yorker Mathematical Tables Project geholt wurde. Dies stellte das weltweit größte Projekt zur Produktion mathematischer Tafelwerke mit menschlichen RechnerInnen dar. Rhodesī Aufgabe war es, zusammen mit einigen wenigen akademisch ausgebildeten MathematikerInnen (weitere Frauen waren Irene Stegun und Ruth Zucker) die formalen Grundlagen für qualitativ hochwertige und fehlerfreie Ergebnisse der arbeitsteilig mit Tischrechenmaschinen, Papier und Bleistift oder Lochkartenautomaten durchgeführten Berechnungen zu schaffen.

Über diese Tätigkeiten erfuhr Ida Rhodes von den ersten Großrechenanlagen. Dies verstärkte sich, als das Projekt 1946 zum Computation Laboratory des National Bureau of Standards (NBS) wurde. Eine ihrer ersten Aufgaben war es, beim NBS in Washington ein Machine Development Laboratory mit aufzubauen und später andere Regierungsstellen diesbezüglich zu beraten. Zunächst war sie maßgeblich an der Realisierung des SEAC-Rechners beteiligt. Als Anfang der 1950er Jahre das NBS den ersten kommerziellen Rechner, eine Univac I, erhielt, um die Volkszählung von 1950 auszuwerten, wendete Rhodes als eine der ersten die neue Assembler-Sprache C-10 für die Programmierung an. Hiermit entwickelte sie das Originalprogramm, mit dem die Sozialversicherungsbehörde die Auswertungen durchführte.

Rhodes gilt zudem als Pionierin bei der Computeranwendung zur Übersetzung von Fremdsprachen. Dieses Interesse stand vermutlich in direktem Zusammenhang zu ihrem großen Engagement als Dozentin. Schon im New Yorker Projekt hatte sie in den Mittagsstunden Unterricht zu mathematischen Themen und in Russisch angeboten, insbesondere um den MitarbeiterInnen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Ebenso engagierte sie sich im NBS neben Russischkursen weiter mit Übersichtsvorträgen zur Computerentwicklung, zur Programmierung und möglichen Anwendungen. Selbst spezielle Kurse für Behinderte stellte sie zusammen. Sie hatte insbesondere das Potenzial von nicht-mathematischen Anwendungen erkannt und beschäftigte sich mit den literarischen Zukunftsvisionen dieser Jahre. Im Gegensatz zu Darstellungen wie beispielsweise George Orwells Erzählung "1984" (erschienen im Jahre 1949) besaß sie ein unerschütterliches Vertrauen in die sozialen Wohltaten von neuer Technik.

Im April 1952 präsentierte sie in einem Konferenzvortrag mit dem Titel "The Human Computerīs Dreams of the Future" ihre Vision der Nutzung von elektronischen Computern, womit sie Computern in unserer heutigen Welt erstaunlich nahe kommt: sie beschreibt Arbeitsplatzrechner, höhere Programmiersprachen, vernetzte Rechner mit Servern und Clients, die Allgegenwart von Bildschirmen und graphische Schnittstellen. Selbst Wände in Privaträumen oder im Büro zur Projektion von Arbeitskontakten oder privater Kunst sieht sie voraus, genauso wie die Verarbeitung von digitalisierten Texten, Videos und Ton per Computer. Und nicht zuletzt würden die Arbeitsplätze der ProgrammiererInnen große sonnige Büros sein. Auch wenn sie in der konkreten Umsetzung Technik vorhersieht, die nur drei Jahre später bereits verworfen sein wird, so beschreibt sie eine Zukunft, die sich über fünfzig Jahre lang als konstante Perspektive unzähliger ComputerwissenschaftlerInnen erweisen wird.

Bis 1964 war Ida Rhodes im NBS beschäftigt, im Ruhestand blieb sie weiter bis 1971 beratend damit in Verbindung. In diesen Jahren führte sie eine immense internationale Korrespondenz, zugleich engagierte sie sich sozial für jüdische Einrichtungen.

Es wird berichtet, dass Golda Meir (die spätere israelische Premierministerin), die bei ihren New York-Aufenthalten in Rhodesī Apartmenthaus wohnte, sie bedrängt hatte, nach Israel zu kommen. Hätte sie sich nicht für die Pflege ihrer Eltern verantwortlich gefühlt, so wären vermutlich ihre wichtigsten Arbeiten in Israel entstanden.

An Ida Rhodes wird deutlich, dass nicht erst in den 60er oder 70er Jahren, sondern bereits mit den Gedanken und Erfahrungen der menschlichen RechnerInnen die Zukunft des Informationszeitalters artikuliert sowie in Maschinen und Institutionen umgesetzt wurde.